Samstag, 20. Juni 2015
Tag 2 03:52 - 03:50 (19.-20. Juni)
Dadurch, dass ich versucht habe so viel Wasser wie möglich zu trinken, muss ich praktisch jede Stunde auf die Toilette. Ich frage mich, wo der Sinn dahinter ist, viel zu trinken, wenn man sowieso alles wieder ausscheidet. Wäre es nicht einfacher, wäre der Organismus ein Perpetuum Mobile?

Ich bin furchtbar müde und gereizt, als ich mit dem Fahrrad zur Arbeit komme. Ich bin zwar langsam gefahren, doch ich schwitze trotzdem, dabei wollte ich die Flüssigkeit doch im Körper behalten. Die Aussage: "Wir haben sehr viele E-Mails, ich tu mein Bestes, aber ich hab's nicht geschafft!" leistet ihr übriges zu meiner Laune.

Durch die viele Arbeit will ich überhaupt nicht rauchen gehen. Hin und wieder verspüre ich kurz das Bedürfnis. Ich mache Pause am Platz und arbeite einfach weiter, während alle hoch in die Kantine gehen.

Als sie wieder herunterkommen füllt sich der Raum mit Kaffeeduft. Kaffe! Tag 2 ohne Kaffee! Vor einer Woche dachte ich noch, das sei mein Todesurteil.

Gegen 17 Uhr bekomme ich Kopfschmerzen vom Flüssigkeitsentzug. Ich hätte nicht mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren sollen, fürchte ich. Die restlichen 3,5 Stunden quäle ich mich durch Telefonate, obwohl ich nicht genug Spucke haben, um mich selbst zu versorgen, geschweige denn mit Menschen zu sprechen.

Als ich endlich nach Hause fahre (unglaublich, wie viele verschiedene Gerüche man plötzlich wahrnimmt. Hier ein leichter Grill-Geruch, dort ein Rhododendron Busch, die warme, feuchte Erde, der modrige See), gehe ich neue Datteln kaufen - die anderen waren furchtbar trocken -die neuen sind weich und saftig. Zu Hause kippe ich fast um vor Anstrengung und um Punkt 21:33 (naja ich bin etwas zu spät, aber was soll's), esse ich drei Datteln und trinke Wasser, Wasser und nochmal Wasser. Anschliessend einen Tee, dann koche ich Hühnerfleisch mit Knoblauch und Zwiebeln und esse dazu einen körnigen Frischkäse. Ich rauche eine Zigarette und sie schmeckt mir nicht. Ramadan karim - wenn ich nicht jetzt aufhöre, wann dann?

Über den Tag betrachtet ist das nicht viel, doch mein Magen ist scheinbar so klein geworden, dass ich es kaum herunterbekomme.

Anschliessend ist kein Platz mehr für Wasser übrig. Ich stelle mir den Wecker auf 03:05 Uhr um zu trinken. Als die Flasche leer ist habe ich immer noch Durst, doch ich bin viel zu müde, um aufzustehen und mehr Wasser zu holen. ich bin mir sicher, dass ich es bereuen werde.

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Freitag, 19. Juni 2015
Tag 1 03:50 - 03:51 (18.-.19.06.)
Der Grund, warum ich am Ramadan teilnehme, hat nichts mit Religion zu tun, sondern darum, andere Religionen und Kulturen zu verstehen. Ja, das ist ein Unterschied: ich bin nicht religiös, ich bete nicht, ich bin Agnostiker. Aber ich will andere verstehen und der Sinn hinter Ramadan ist positiv:

Jeder soll wissen, wie sich die armen Menschen fühlen, die nichts haben.

Ich beginne den Abend zuvor damit, möglichst viel zu trinken und gebe nach 1,5 Litern auf. Zu wenig, ich weiß. Als ich morgens aufwache, geht es mir noch gut. Ich putze mir die Zähne und achte penibel darauf, nichts davon zu schlucken, dusche schnell und mache mich fertig.

Mir wird gleich Kaffee und Wasser angeboten, ich lehne ab. Einige Stunden später will man mir wieder Wasser andrehen, ich lehne erneut ab. Jemand verteilt gratis Plunder, ich lehne ab. Langsam wird es anstrengend. Ich verstehe nicht ganz, warum man während des Ramadans nicht Speisen und Getränke annehmen darf, die einem geschenkt werden - jemand der arm ist, würde es sicher nicht ablehnen?

Ich bleibe standhaft und bekomme langsam Kopfschmerzen. Überall sehe ich Wasser. Und der hunger hält sich in Grenzen, aber das verlangen nach Wasser ist unglaublich. Irgendwann im Laufe des Nachmittages wird mir schwindelig. Der Kollege bietet mir eine Zigarette an - ich bin zu schwach.

Es beginnt zu regnen und ich mache mich auf den Heimweg. Es regnet in Strömen und ich denke: wenn ich jetzt die Hand ausstrecke, dann kann ich sicher den Regen trinken. Ich tue es nicht. Immerhin ist es etwas, das die Natur uns schenkt, wenn es regnet? - Aber wo dieser Brauch herkommt regnet es für geöhnlich nicht viel. Ich betrachte in Gedanken versunken die dicken, schmackhaften Regentropfen und stelle mir vor, wie es wäre, nur meine Lippen damit zu benetzen. Es wird langsam unerträglich.

Jemand rempelt mich an und hat einen Döner in der Hand. Er entschuldigt sich, doch ich möchte ihm am liebsten sein Essen stehlen und davonlaufen. Besser wäre noch eine Flasche Wasser. Wenn der erste tag schon so übel ist, wie ist es dann erst nach einem Monat??

Ich fahre nach Hause, es ist 21:45 und mein erster Griff: Wasser. Ohne zu überlegen trinke ich eine 1,5 Liter Flasche leer, nehme noch zwei Gläser Leitungswasser und mache mich dann über eine handvoll Datteln her, wie es üblich ist, um das Fasten Abends zu brechen. Nach zwei Scheiben Brot ist mir schon schlecht. Ich trinke noch einen Tee und gehe dann zu Bett.

Um 03:03 klingelt mein Wecker. Ich bin furchtbar müde und trinke gleich einige Schluck Wasser, esse ein paar Apfelschnitze und versuche, noch mehr Wasser in mich hinein zu bekommen. Ich schaffe es nicht und schlafe wieder ein. Es ist nun 03:51.

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